Freimaurertum und Freimaurer

Die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit

Man könnte meinen, Freimaurertum, bzw. „Die“ Freimaurerei sei deckungsgleich mit den Freimaurern. Weit gefehlt. Heute wissen in Deutschland die wenigsten Brüder und Schwestern noch welche Tiefe in den ursprünglichen Gedanken der Freimaurerei liegt.

Für viele ist Freimaurerei nur noch eine Frage gesellschaftlichen Ansehens. Wer Freimaurer ist, der gehört zu einer handverlesenen Elite, denkt so mancher. Das ist lachhaft, zumindest wenn es um die Freimaurerei in Deutschland geht. Nicht so in den USA, Österreich, Italien, Frankreich und diversen anderen Ländern.

Doch leider ist das, was die einstige deutsche Freimaurerei an humanistischem Gedankengut hervorbrachte, zu einer eitlen Einheitssuppe verkommen, in der Maurer ohne Rückgrat schwimmen, die es allerdings lieben, sich selbst anerkennend auf die Schultern zu klopfen.

Dieser Prozess der Selbstzerstörung hin zur Bedeutungslosigkeit zieht sich bedauerswerterweise seit einigen Jahrzehnten hin und wurde bereits unter anderem von Goethe und Tolstoi beklagt.

Denn was besagen die eigentlichen Ziele der Freimaurerei, die kaum einer befolgt?

Die Grundlagen freimaurerischen Strebens gehen unter anderem auf ein altes Schriftstück aus dem Jahr 1390 zurück, dem „Regius Manuskript“, das nach seinem Verfasser auch Halliwell- Manuskript genannt wird. Vermutlich ist es aber schon älter.

Dort wird bereits dringend darauf hingewiesen, der Bruder solle die Königliche Kunst erlernen und sie lehren. Diese Kunst bestehe darin, standhaft, treu, pflichtbewusst und wahrhaft zu sein, von gutem Ruf, frei, weise, tüchtig und verschwiegen.

Der viel als Musterfreimaurer und Aushängeschild gerühmte und zitierte Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar), selbst 50 Jahre lang Mitglied in der Freimaurerei, war von der Idee der Freimaurerei zwar so sehr begeistert, dass er seinen Garten zu einem freimaurerischen Tempel ausbaute, aber von den Brüdern weniger, was auch als Grund für seine äußerst wenigen Logenbesuche, Theodor Götze spricht von 16 in 50 Jahren, diente. Das, was Goethe in den Logen vorfand, nämlich Dummheit, Ignoranz, Eitelkeit, Formelkram, dafür mangelnde Beherrschung äußerer Formen, störte Goethe dermaßen, dass er nicht darüber hinwegsehen konnte und lieber dem Logenleben fern blieb. Der verstorbene Rechtsanwalt und Freimaurer Theodor Götze zitiert dies aus den Tagebüchern Goethes und beruft sich zusätzlich auf die Werke von Hugo Wernekke „Goethe und die königliche Kunst“, Leipzig 1905, und Gotthold Deile „Goethe als Freimaurer“, Berlin 1908.

Ähnlich angetan war Leo Tolstoi (*28.August 1828; † 7.November1910) von den Idealen einer menschenfreundlichen Freimaurerei. Es fiel ihm jedoch nicht ein, der Bruderschaft beizutreten, denn er argwöhnte, dass die Bruderschaft auf falsche Wege geraten und von ihrem ursprünglichen Quell abgekommen war. Diese Problematik griff er auf und bearbeitete sie in seinem Roman „Krieg und Frieden“, in dem er die Romanfigur Pierre als Freimaurer darstellte und die Freimaurer in vier Gruppen einteilte.

  1. Gruppe, die sich weder an der Logenarbeit noch an menschenfreundlichen Tätigkeiten beteiligten, sondern sich ausschließlich der mystischen Seite der Freimaurerei zuwandten.
  2. Zur Gruppe, zu der er seine Romanfigur Pierre zählte, ordnete er alle diejenigen zu, die noch suchten, schwankten und noch nicht den klaren Weg gefunden hatten.
  3. Die Gruppe bildete die größte Zahl. Sie sah in der Freimaurerei nichts als Zeremonien und äußerliche Formen, ohne sich um den Inhalt und Bedeutung zu kümmern.
  4. Zur 4. Gruppe zählte er die, die erst neuerlich in die Loge eingetreten waren, um mit einflussreichen Leuten in Beziehung zu kommen.

Zu dieser 4. Gruppe gehören wohl auch heute die meisten neu aufgenommenen Interessenten, die glauben allein durch eine Mitgliedschaft etwas besseres zu sein, um vielleicht, eigentlich hoffentlich, einen finanziellen Vorteil zu haben, auch wenn gerade im Zeremoniell bei der Aufnahme vor solchen falschen Hoffnungen gewarnt wird.

Für viele zählt der Name mehr als innere Werte – sie sind eben ein Spiegel unserer Gesellschaft. Das Geltungsbedürfnis vieler Freimaurer ist groß, fühlt man sich doch gleich auf eine höhere Stufe gestellt, wenn in der eigenen  Loge Doktoren, Professoren, Juristen, womöglich noch Adlige zu den Mitglieder zählen, selbst wenn deren Titel nur gekauft ist. Und noch zwei Eigenschaften haben sich bei den meisten Freimaurern eingeschlichen, kein Rückgrat zu besitzen und die Feigheit, offen und öffentlich nicht klar und deutlich Farbe zu bekennen.

Was würden sich George Washington, Guiseppe Garibaldi, Carlo Maria Alvear, Manuel Belgrano, Jean-Baptiste Bernadotte, Simon Bolivar, Pierre Brissot, José de Caldas, José Maria Córdoba, Miguel Hidalgo, Garcia Juárez, Jean Paul Marat und andere freimaurerische Freiheitskämpfer denken? Vor Scham gegenüber den heutigen Freimaurern würden sie sich im Grabe umdrehen. Wofür und für wen haben sie gekämpft und teilweise ihr Leben gelassen? Für Waschlappen, für Memmen? Da ist sie wieder die Schneeflockengesellschaft, die sich moralisch überlegen fühlt, aber zu winseln beginnt, wenn sie gefordert ist oder man ihr Paroli bietet.

Es ist der Zeitgeist, der nicht nur die Freimaurer trifft, sie aber besonders, wo sie sich doch solch hohe ideelle Ziele auf die Fahne geschrieben haben. Und da kommt dem „Stummen“ die falsche Übersetzung in Andersons „Alte Pflichten“ gerade recht, denn ist es nicht verboten, in Logen über Politik und Religion zu reden? Das behaupten zumindest viele langjährige Freimaurer, die die Alten Pflichten kaum gelesen haben können. Sie kennen sie nur vom Hörensagen, nachfragen hätte sich nicht gelohnt, wo die angebliche Aussage doch so gut ins allgemeine Konzept der Seichtigkeit passt.

Hätten sie genauer hingeschaut, hätten sie lesen können, dass in den „THE OLD CHARGES“ steht: „… Therefore no private Piques or Quarrels must be brought within the Door of the Lodge, far less any Quarrels about Religion, or Nations, or State Policy…“

Also nichts von: „…man dürfe nicht reden“. To quarrel heißt übersetzt „streiten“. Sehr wohl kann UND soll man in Logen gesellschaftsrelevante Themen aufgreifen, egal ob politische oder religiöse, nur will man nicht Zwist, Streit oder politische und parteipolitische Dogmen in die Logen tragen. Streit und Zwist sind ja auch ohne dies schon genug verbreitet.

Zur Erinnerung möchte ich diesbezüglich einen schon älteren Appell, der aber seine Bedeutung keineswegs verloren hat, von Gotthard Spohr wiedergeben. Im Gegenteil, er ist wichtiger denn je!

In einer Ausgabe der „Humanität“ gibt Gotthard Spohr zu bedenken: „Es ist zu überlegen, inwiefern wir als Freimaurer in den heutigen demokratischen Gesellschaften Europas und der Welt noch entscheidende Impulse einbringen können. Die stille Arbeit im Tempel beispielsweise genügt heute und in der Zukunft nicht mehr, wenn wir unsere Pflichten als Freimaurer erfüllen wollen, unsere Ideale müssen umgesetzt werden“, fordert Spohr.

Ich sehe dies durchaus bestätigt durch die Worte von Erwin Lenz am 15. April l 2019. Er schrieb in einem Artikel auf der Seite der Großloge: „Immer mehr Menschen fühlen sich anderen Menschen gegenüber moralisch überlegen und bekämpfen Andersdenkende, mittlerweile sogar bis aufs Blut. Wir erzeugen eine Atmosphäre der Angst und nennen es Freiheit. Wir bedrohen andere und nennen es friedlich. Wir wollen den Zusammenhalt und betreiben die Ausgrenzung. Fast immer im Namen einer toleranten Gesellschaft. Das ist alles andere als tolerant, das ist borniert!“

Es wäre so immens wichtig, sich als Freimaurer auf die eigentlichen freimaurerischen-humanistischen Ideale zu besinnen. Doch diese Möglichkeit wird verschlafen, jeder will nur für sich, ganz unbeobachtet im engsten Kreise wirken. Und selbst das tun nur die wenigsten.