Des Freimaurers ambivalentes Verhältnis zur Esoterik

Im Zwiespalt zwischen Pragmatismus und Esoterik.

Obwohl die Freimaurerei mit ihren Logen nur so vor Symbolen mit esoterischem Inhalt strotzen, lehnen pragmatische Freimaurer den Bezug zur Esoterik ab. Warum eigentlich?

Was bedeutet Esoterik?

In den letzten 50 Jahren konnte man einen regelrechten Esoterik-Boom beobachten. Überall schossen Esoterikläden wie Pilze aus dem Boden und übertreffen sich gegenseitig mit skurrilen Angeboten an übersinnlichem Hokuspokus. Eine wahre Bücherschwemme, geschrieben von vermeintlichen Insidern geheimen Wissens, füllt ganze Regalwände. Geistwesen kanalisierten ihr Wissen gezielt zu empfänglichen Personen (Channeling), die deren Botschaft sogleich niederschrieben und gut zu vermarkten wussten und wissen. Buchklubs und Verlage entstanden, die sich ausschließlich mit esoterischen Themen befassen und sich einer regen Klientel erfreuen.

Bei einem Besuch im Hopi-Reservat im nordöstlichen Arizona führte ich vor etlichen Jahren ein Gespräch mit einem Medizinmann der Hopis. Dieser warnte mich ausdrücklich vor einer New Age Bewegung, die eine Pseudorealität erschafft, in der sich zwar ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte widerspiegeln, was aber nicht die eigentliche Wahrheit trifft, schon gar nicht den alter spiritueller Tradierungen. Er berichtete von einem weißen Schriftsteller, der gerade einmal vier Wochen bei ihnen weilte, um über das spirituelle Wissen der Hopis zu recherchieren, sich danach als Wissender ausgab und sofort ein Buch über die Spiritualität der Hopis veröffentlichte.

Dies sei eine Beleidigung für die Hopis, die in ihrer über 3.000 Jahre alten Kultur keinen Fremden an den Geheimnissen ihrer Rituale und ihres esoterischen Wissens teilhaben ließen. Nur der innere Kreis habe dazu Zutritt. Wer glaubt, in kürzester Zeit sich ein profundes Wissen angeeignet und die Geheimnisse gelüftet zu haben, ist ein Scharlatan, was symptomatisch für die meisten Personen und Bücher dieses Genres sei.

Dazu gehören sicherlich auch die wiederkehrenden Treffen so genannter Schamanen, Esoteriker und New-Age-Anhänger im mexikanischen Yukatan, bei denen 13 Kristallschädel zusammengetragen werden sollen. Nur, wenn alle 13 Kristallschädel, die als verloren galten, wieder vereint würden, so der Maya-Mythos, könne die Welt gerettet werden, die am 21. Dezember 2012, dem letzten Tag des Maya-Kalenders, hätte untergehen sollen. Gelänge es, alle dreizehn existierenden Schädel an diesem Tag wiederzuvereinen, bräche ein neues Zeitalter des Lichts an. Damit soll „Der weiße Weg“ als Vision der Urvölker Südamerikas verkauft werden, eine Glorifizierung der Mayakultur. Dabei war die Maya-Kultur alles andere als eine humanitär und spirituell hochstehende Gesellschaft, die nach dem Prinzip kosmischer Harmonie lebte und Frieden unter den Völkern predigte. Das einfache Volk hauste in äußerst bescheidenen Hütten unter ständiger Angst vor einer allmächtigen Priesterkaste, die Jünglinge und Jungfrauen unter Rauschgift erst vergewaltigten, um sie dann ihren Göttern zu opfern. Dabei wurde den Betäubten bei lebendigem Leibe das Herz herausgeschnitten.

 

Allein hieran sieht man den Wahnwitz verblendeter Esoteriker, die die Wahrheit verdrehen. Und zum Glück traf diese düstere Vorhersage nicht ein – eigentlich wie zu erwarten.

Boomende Esoterik-Messen warten mit einem weit gefächerten Leistungsangebot von Aura-Fotografie über Geistheilen, Engelsanbetern, energetisierten Wasser bis hin zu erotischer Partnermassage auf. Ob Hand- oder Kartenlesen, Geräte zur Kopfmassage, um die mentale Energie besser fließen zu lassen, gefragt ist was den Anstrich der Spiritualität für sich in Anspruch nimmt. Allen gemeinsam ist das ausgesprochen hohe Honorar für spirituelle Leistungen und Produkte. So lassen sich Fernheiler/innen und spirituelle Berater ihre angebliche Begabung nicht selten mit einem Stundensatz von 500 € honorieren.

Esoterik hat sich mittlerweile zu einer konjunkturstarken Wirtschaftsbranche entwickelt, wobei sich das vermeintlich ‚Esoterische’ zwar vermehrte, aber gleichzeitig immer weniger wert wurde. Mit der Sehnsucht der Menschen und ihrem Grundbedürfnis nach Religion wird hier ordentlich Kasse gemacht.

Aber ehrlich gesagt besteht hier kein Unterschied, wie z.B. zu den Wallfahrten nach Lourdes, wo sich Gläubige Heilung erhoffen und ‚Heilsbringer’, wie dem Eau de Lourdes, in Massen verkauft werden. Die Modernen Esoteriker sind begierige Schüler und haben von der Kirche gelernt.

Wer jedoch mit dieser modernen Esoterik Verquickungen zu der alten ‚Esoterik’ schafft und alles in einen Topf aus ‚New Age’, abgehobener Geistseherei und Engelsgetue wirft, der verkennt den Unterschied zwischen eigentlicher und neuer Esoterik, deren Wortschöpfung erstmals 1870 bei dem französischen Okkultisten Alphonse Louis Constant auftauchte und sich ausschließlich mit Okkultismus, Grenzwissen­schaften, spirituellen Erfahrungen und Theosophie befasste. Im heutigen Sprachgebrauch werden häufig und fälschlicherweise weitere Themen der Esoterik zugedacht, so wie Neu- Offenbarungen, Channeling, Jenseitskontakte, Geistseherei, Satanismus, Reinkarnationstherapie oder UFO- Erscheinungen.

Dagegen liegen die Wurzeln der eigentlichen und ursprünglichen Esoterik, bzw. von seinem Adjektiv „esoterisch“ weit zurück. Es stammt aus dem Bereich der antiken Einweihungskulte und Mysterienschulen und bezeichnete ein „geheimes Wissen“, das nur einem „inneren Kreis“ von Eingeweihten zugänglich war.

In dem Buch Pythagoras von Iamblichos [4] (um 300 vC) finden wir folgenden Hinweis zu den Bräuchen im pythagoreischen Orden: Die uns überlieferten Allegorien und Symbole haben mit Esoterik wahrlich wenig zu tun. Hatte man die Adepten auf Grund ihrer Lebensführung und ihrer sonstigen guten Wesensart nach des Meisters Urteil für würdig befunden, die Lehren zu empfangen, so wurden sie nach fünf Jahre langen Schweigen für den Rest ihres Lebens zu „Esoterikoi“, hörten innerhalb des Vorhangs den Pythagoras und durften ihn dabei auch sehen; vorher hatten sie nur außerhalb desselben durch bloßes Hören an den Vorträgen teilgenommen, ohne Pythagoras jemals zu Gesicht zu bekommen, und dabei lange Zeit eine Charakterprobe abgelegt.

Wörtlich bedeutet, wie oben bereits erwähnt, das griechische Adjektiv „esôterikós“ so viel wie „zum inneren Kreis gehörig“. Es setzt sich zusammen aus der griechischen Silbe eso für innen (im Gegensatz zu exo = außen) und der Silbe ‚telos’ für Ziel.

Es bezeichnet aber nicht nur den inneren Kreis, sondern zuerst den Blick ins eigene Innere, der zu dem berühmten Spruch des Apollon „Erkenne Dich selbst!“ führt.

Wobei dies einen tiefenpsychologischer Aspekt darstellt. Die Selbsterkenntnis verweist auf etwas Verborgenes, nämlich auf die persönliche Ebene des Unbewussten, um mit C.G. Jung zu sprechen. Jung sieht hier die ursprüngliche Bedeutung von Esoterik, nämlich den Blick nach innen, was auch dem metaphysischen Gedanken des Aristoteles entspricht.

Dieser Blick nach innen, aus dem die Selbsterkenntnis als Wegweiser zum eigentlichen Sinn und Ziel unseres Daseins herausgeht, schärft unser Bewusstsein für das Hier und Jetzt, für alle darin liegenden Fehler, die eine Erreichung des Ziels verhindern.

Esoterik ist also im weiteren Sinn die Lehre des Brauchtums, das dem noch nicht Eingeweihten auf seinem Wege das wahre Ziel weisen soll. Dieses Ziel liegt in einem transzendenten Bereich, der unserem Verstand nicht zugängig ist. Es übersteigt die Grenzen unserer Erfahrung, jede mögliche Erkenntnis sowie das menschliche Bewusstsein und sucht das Übersinnliche, das Absolute: Gott.

Man lässt diese sinnlich erfassbare Welt und die Wirklichkeit hinter sich, um zur Zweiten Welt zu gelangen, um Erleuchtung zu erfahren. Die ewige Wahrheit soll uns durchdringen, uns sehend machen und uns Frieden geben.

Die Transzendenz hat zu dieser Welt einen sinnstiftenden Bezug indem sie uns einen tugendhaften Weg weist, der Voraussetzung ist für eine geistige Wiedergeburt, für die Rückführung in das ewig Eine, in dessen Atem wir uns befinden.

Dieser Gedanke geht letztlich auf Platons Lehre des über alles hinausreichenden Guten zurück und verweist auf die Jenseitigkeit Gottes. In der Esoterik verbinden sich folglich Vorstellungen über die Harmonie des Kosmos, die Natur, den Weltschöpfungsakt und über eine weise alles lenkende Macht, der die Menschen vielerlei Namen gegeben haben. Sie verbindet Vorstellungen vom Sinn unseres Seins, dem Ursprung des Menschen, von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt. Zentrale Praktiken galten der Selbsterkenntnis und -findung.

Die Verknüpfung aus eso und telos zeigt, dass nur der Tugendhafte dieses Ziel zu erlangen vermag. Es ist verständlich, dass derart „innere Kreise“ ihr internes Wissen in „heiligen“ Texten symbolhaft und mittels Allegorien verbargen, alleine zum Selbstschutz.

Oft setzen Unwissende Esoterik mit Spiritualität gleich und übertragen dieser damit das gleiche Negativimage. Dabei bedeutet Spiritualität so viel wie Geistigkeit, wobei eine geistige Haltung oder im engeren Sinn Geistliches in spezifisch religiösem Sinn gemeint sein kann. Spiritualität im spezifisch religiösen Sinn steht dann auch immer für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit. Spiritualität erhebt den Anspruch, bewusster zu leben und in der Transzendenz das Geheimnis unserer Existenz zu suchen. Spiritualität ist die geistige Fähigkeit, sich der Erkenntnis zu nähern, sie wird damit zum Instrument der Esoterik.

Jeder Mensch ist seiner Natur nach spirituell (geistig), sofern er Sinn und Wert sucht. Spiritualität ist weder eine eigentlich esoterische noch religiöse Praktik, sondern eine grundlegende Dimension des Menschseins. Damit ist Spiritualität auch kein Reservat von Gurus, Religionsstiftern, Propheten oder Priestern, sondern von jedermann.
Spiritualität ist die Öffnung des Selbst als höheres Ich und die Überwindung des Egos. Das Selbst ist der spirituelle Kern in jedem Menschen. In diesem Sinne ist durchaus die Freimaurerei zu verstehen, die sich nicht nur als ein säkularer ethischer Bund sieht und sich nur in tugendhaftem Verhalten übt. Sie ist auch eine Initiationsgemeinschaft und steht damit in der Tradition der klassischen Mysterienbünde, die sich auf einen spirituellen Weg zur Selbsterkenntnis begeben. So ein Mysterienbund stellten auch die Urchristen dar, die sich der Gnosis (griech: Erkenntnis) widmeten. Durch diese suchten sie die wahre Lehre Christi zu erlangen. Von diesem mystischen Ursprung hat sich das heutige Christentum allerdings weit entfernt.