Ein alter Hut, könnte man meinen, ist die hartnäckige Frage nach dem sogenannten Geheimnis der Freimaurer. Gibt es ein Geheimnis oder gibt es keins?
Die Antwort ist: „Ja und nein!“
Ja! – Weil die Freimaurer bestimmte Dinge nicht preisgeben dürfen. Das sind an erster Stelle Zeichen, Wort und Griff, die der Erkennung untereinander und als Zugangsberechtigung in Logenhäuser dienen und folglich der Geheimhaltung unterliegen. Aber auch diese sind mittlerweile in diversen Büchern verraten worden und der Öffentlichkeit zugängig.
Ja! – Weil kein Freimaurer private oder logeninterne Themen, über die in der Loge besprochen wurde, nach außen tragen darf.
Ja! – Weil freimaurerische Rituale mystischen Inhalts sind, die von Andersdenkenden gerne zerrissen und ins Lächerliche gezogen werden. Diese Bloßstellung möchte man vermeiden. Zu leicht entstehen Missverständnisse, die dann nur schwer auszumerzen sind. Obwohl jeder diese Inhalte in öffentlichen Bibliotheken nachschlagen kann – sie sind nicht mehr geheim. Früher hatten Freimaurer Angst, wegen dieser Rituale in ein falsches Licht gerückt zu werden, vor allem bei der Kirche. Sie fürchteten schlichtweg Repressalien.
Ja! – Weil das Streben eines Freimaurers nach Toleranz, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Mäßigung und brüderlicher Nächstenliebe ganz und gar nicht in ein machtorientiertes totalitäres Regime passt. Deshalb wurden die Freimaurer im Dritten Reich verfolgt, genauso wie noch heute in Syrien, Persien und vielen dogmatisch islamischen Ländern. Das reine freimaurerische Denkschema passt nicht in eine Welt von Despoten und Machteliten oder fundamentalistisch-religiöser Gottesstaaten, die von Dogmatismus und Intoleranz geprägt sind. Allein das Streben nach Freiheit ist vielen ein Dorn im Auge. Deshalb verschweigt man lieber seine freimaurerischen Ideale und hält sich bedeckt, was die Zugehörigkeit zum Bund der Freimaurer angeht.
Ja! – Denn keiner möchte seine innere Einstellung zur charakterlichen Reifung, zum Sinn unseres Seins oder zur Wiedergeburt zerredet wissen. Dazu gehört auch das individuelle Bemühen der Selbstvervollkommnung, ein Unterfangen, das so mancher Zyniker in den falschen Hals bekommen und versuchen könnte, die Freimaurer als anmaßende „Elite“ zu brandmarken. Diesen Kampf möchte niemand in der Öffentlichkeit ausfechten, was verständlich ist. Auch sieht mancher Freimaurer ein Geheimnis in seinem persönlichen Erleben beim Besuch einer Loge und eines Rituals.
Nein! – Denn alles Rituelle, was in der Freimaurerei hinter verschlossenen Türen geschieht, findet sich in alten Mysterien und Rollenspielen wider. Es ist nicht geheim, es wird nur nicht in die Öffentlichkeit getragen.
Nein! – Denn alle Symbole, Rituale und Inhalte gab es bereits in früheren Bruderschaften, sie wurden lediglich übernommen. Von einem Geheimnis kann also nicht dir Rede sein, sehr wohl aber von Geheimhaltung und Verschwiegenheit.
Alles, was in der Loge geschieht, muss geheim sein. Diejenigen aber, die mit einer unehrenhaften Indiskretion sich kein Gewissen daraus gemacht haben, die Vorgänge in den Logen zu enthüllen – die haben das Wesentlichste nicht enthüllt. Sie kannten es nicht. Denn wenn sie es gekannt hätten, so würden sie sicherlich das Zeremoniell nicht verraten haben.
Wer das Licht scheut, der hat etwas zu verbergen, heißt es im Volksmund und damit sind auch die Freimaurer gemeint, die sich schwarz kleiden und hinter verschlossenen Türen seltsame Rituale abhalten. Recht kindisch und weltfremd urteilte ein Journalist über das Auftreten der Freimaurer, als er zu einem Tag der offenen Tür in die Loge C.f. i. O. P.d.M. eingeladen wurde. Genau betrachtet liegen die Ziele der Freimaurerei keineswegs im Dunkeln, sondern in der praktischen Anwendung von Menschenliebe und Brüderlichkeit. Hinter verschlossenen Türen deswegen, weil das Tempelerlebnis als Gruppenerfahrung privat ist und nicht öffentlich.
Goethe resümierte im fortgeschrittenen Alter: Es gibt so viele offenbare Geheimnisse, weil das Gefühl derselben bei wenigen ins Bewusstsein tritt, und diese denn, weil sie sich und andere zu beschädigen fürchten, eine innere Aufklärung nicht zu Wort kommen lassen.
Geheimnistuerei jedoch kann häufig selbst so klare Ziele, wie sie der Freimaurerbund vertritt, verdunkeln und schadet ihm damit im Endeffekt mehr als die Bemühungen um Transparenz. Außerdem hat Geheimnistuerei nichts mit der Verschwiegenheitspflicht zu tun. Diese bezieht sich, wie bereits oben angesprochen, ausschließlich auf Zeichen, Wort und Griff sowie das individuelle Erleben im Tempel und den Inhalt privater Gespräche.
Dennoch sehen viele Brüder der deutschen Maurerei in jeglichen Veröffentlichungen gleich einen Verrat. Darunter hatten schon viele Brüder zu leiden, wie Schauberg, Kopp, Lorenz und Preiß, denen eigentlich höchstes Lob für ihre Arbeit gebührt. Andere Freimaurer leiden immer noch unter dem Vorwurf des Verrats, so die Betreiber der vorzüglichen Internetseite „Freimaurer-Wiki“ oder von „internetloge.de“. Beide stellen eine Fundgrube dar für freimaurerisches Wissen. Sie alle sind es, die endlich mit der vermeintlichen und letztendlich zerstörerischen Geheimniskrämerei aufräumen. Ihnen kann nicht genügend Dank ausgesprochen werden. Wie sollten auch die Ziele des Bundes einer Geheimhaltung unterliegen, wo diese in den Vereinssatzungen der Logen der Öffentlichkeit zugängig sind.
Und wer durch eigene Forschung zur Erkenntnis des Ursprungs und der Fortschritte der Freimaurerei gelangt ist, der kann zur Verschweigung seiner Entdeckungen durch keinen Eid verpflichtet werden. Auf einer folgenden Seite schreibt Schauberg weiter: Wer das Wesen und die Tendenz der Freimaurerei unter Leitung unserer Symbole in seinem Innersten gefunden hat, der kann es durch Aussprechung nicht entheiligen.
Dem entspricht Krause, I. 2, S. 348: Nie habe ich irgendwo ein Gelöbnis abgelegt, allgemein menschliche Wahrheiten zu verschweigen.
Und Fessler schreibt: Unsere Gebräuche sind durch den Buchdruck der Welt bekannt geworden: Ihre Geheimhaltung kann also durch keinen Eid mehr versprochen werden.
Auch Schauberg übt harsche Kritik an der schweizerischen und deutschen Freimaurerei, die sich in ihrem Kämmerlein eigenbrötlerisch verkriecht und die Öffentlichkeit scheut: Das maurerische Verbot des öffentlichen Forschens und Redens ist ganz gleichbedeutend mit dem allgemein getadelten und verworfenen Verbote der Brahmanen und der katholischen Priester, die heiligen Schriften, die Veden und die Bibel, zu lesen und zu erörtern.
Die Geheimniskrämerei der schweizerischen und der deutschen Logen und ihr Anfeinden der Öffentlichkeit ist das gerade Gegenteil des Verfahrens der englischen, nordamerikan¬ischen und französischen Maurerei, welche der unbeschränkten Öffentlichkeit in der Literatur seit langen Zeiten huldigen, wie namentlich die neuenglische Großloge selbst einige Jahre nach ihrer Gründung im Jahre 1717 ihr Constitutionsbuch durch Anderson im öffentlichen Drucke herausgegeben hat.
Unter Zustimmung und mit Aufmunterung der höchsten dortigen maurerischen Behörden veröffentlicht Br. Ragon zu Paris 18 Rituale, d.h. die vollständigen Rituale der 33 französischen Grade, soweit dieselben wirklich bearbeitet und feierlich erteilt werden. Ragon hatte mit Recht seinen Veröffentlichungen das Motto vorgesetzt: Verschaffe Einblick in die Freimaurerei und du bewirkst, dass man sie liebt.
Dieses Motto befolgte Goethe, indem er seine freimaurerischen Reden und Logen¬gedichte in der Gotha’schen Gesamtausgabe veröffentlichte. Goethe spricht die hochstilisierte Problematik der Geheimhaltung in seinen venezianischen Epigrammen aus: Ist es denn ein großes Geheimnis, was Gott, der Mensch und die Welt sei? Nein, doch keiner mag es gerne hören, da bleibt es geheim.
Geheimnisvoll bleiben neben dem individuellen Erleben der Rituale nur noch die Symbole, die in der Freimaurerei Verwendung finden.