Die Bedeutung von Ritualen

Bedeutung von Ritualen

Definition: Ein Ritual (von lat. ritualis = „den Ritus betreffend“) ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt und bezeichnet allgemein einen festgelegten, sich wiederholenden Handlungsablauf.

In „Knaurs etymologischen Lexikon“ finden wir als Definition: „Ritual drückt die Gesamtheit der Riten eines Kultes aus.

Die „Allgemeine deutsche Real – Enzyklopädie der gebildeten Stände“ führt 1867 unter dem Begriff Rituale aus:  „Ritual heisst im allgemeinen die vorgeschriebene Regel, wie es mit gewissen Gebräuchen und Zeremonien gehalten werden soll. Im engeren Sinne versteht man darunter die Anordnung kirchlicher Gebräuche etc.“

In „Meyers kleines Conversations – Lexikon“ von 1893 lesen wir: Ritual bezeichnet die festgesetzte Ordnung der Gebräuche bei festlichen Gelegenheiten.

Und im Fremdwörterbuch des Duden von 1982 steht:  Ritual a) Ordnung für gottesdienstliches Brauchtum,  b) religiöser Festbrauch in Worten, Gesten und Handlungen.

„Rituale sind vielfältig; sie reichen vom Banalen bis zum Sakralen und begleiten den Menschen von klein auf (z. B. bei der Taufe, Beschneidung) bis zum Tod (Beerdigung), bestimmen den Jahreszyklus (z. B. Karneval, Ostern, Weihnachten) und bleiben oft erhalten, auch wenn der ursprüngliche (religiöse) Sinn den Teilnehmern gar nicht mehr bekannt oder dem Einzelnen nicht mehr von Bedeutung ist. So erinnert der Karneval an die Verehrung des Gottes Saturn in Rom (Saturnalien) und die Ostereier waren ein germanisches Fruchtbarkeitssymbol. Während einerseits manche Soziologen in der Moderne eine Entritualisierung und Entzauberung sehen, entwickeln andererseits moderne Industriebetriebe bereits neue Rituale, um Mitarbeiter zu halten, sie zu motivieren und in der Belegschaft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit herzustellen.“ 

(Quelle: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2007)

Rituale kommen sogar im Familienbericht der Bundes­regierung vor: „Für die Qualität des Familienlebens sind vorhersehbare Abläufe und Rituale wichtig.“ Es sind nicht nur die Feste, die damit gemeint sind, zum Beispiel der erste Schultag mit der Schultüte oder die Abiturfeier – Rituale geben auch dem Alltag eine Struktur, gemeinsame Mahlzeiten, das Zubettgehen mit der immer gleichen Zeremonie, zum Beispiel Vorlesen. Immer noch lesen sehr viele Eltern in Deutschland ihren Kindern vor dem Einschlafen vor. Die meisten Deutschen sind auch der Ansicht, dass regelmäßiges gemeinsames Essen ein wichtiger Faktor für familiäres Glück ist. (Quelle GEO KOMPAKT NR. 61 „Die Kraft der Familie“)

 

Arten von Ritualen

A zyklische Rituale, die dem tageszeitlichen, wöchentlichen, monatlichen oder jährlichen Kalender  folgen (z. B. Mittagsschlaf, das Weckritual oder die Sonnenwendfeier u.v.a.)

B lebenszyklische Rituale, z. B. Initiationsrituale wie bei Geburt, Mannbarkeit u.a.

C ereignisbezogene Rituale, die z. B. bei bestimmten Krisen Anwendung finden (z. B. Trauerrituale, Opferrituale bei Seuchen oder Hungersnot)

D Interaktionsrituale, die im Rahmen bestimmter Interaktionsmuster zum Tragen kommen, wie z. B. das Grußritual, Rituale des Körperabstandes oder das Ritual des Teetrinkens.

E religiöse Rituale/profane (oder säkulare) Rituale.

F therapeutische Rituale; stellen eine Behandlungsmöglichkeit in der Psychotherapie dar. 

G Alltagsrituale können überall da sinnvoll sein, wo es darum geht, den Alltag harmonischer zu gestalten.

 

Funktion des Rituals

Rituale greifen auf vorgefertigte Handlungsabläufe und altbekannte Symbole zurück. Damit vermitteln sie Halt, Ordnung und Orientierung und stellen diese notfalls auch wieder her. Sie schaffen dadurch Beständigkeit und Verbindlichkeit.

Das Ritual schafft eine Atmosphäre der Besonder- sowie der Geborgenheit. Rituale helfen sich aus dem Alltag auszuklinken und Kraft zu schöpfen.  Das gemeinsame Essen nach bestimmten Regeln, wie das Zeitungslesen am Morgen, der Kaffee um 16:00 Uhr oder die Tea Time können ebenso zum Ritual werden und damit zur Auszeit, wie das abendliche Glas Whisky nach getaner Arbeit, der Mittagsschlaf, ja sogar der Gang zum „stillen“ Örtchen. Jeder schafft sich seine eigenen Rituale und ist es nur das Inhalieren einer Zigarette.

Auf gleiche Weise soll das Brudermahl, bei dem jeder die gleiche schlichte Speise zu sich nimmt, die Gemeinschaft zusammenschweißen. Indem wir gemeinsam etwas tun, immer wieder, als Ritual, stellen wir Gemeinschaft her. Das Individuum wird sich im Ritual der Tatsache bewusst, Teil von etwas zu sein. Durch die gemeinschaftliche Abwicklung besitzen Rituale einheitsstiftende und einbindenden Charakter und fördern somit den Gruppenzusammenhalt und die intersubjektive Verständigung. Rituale stärken auch Partnerschaften.

Alfried Lehner schreibt dazu: „Ein Ritual soll uns mit Frieden und innerer Harmonie erfüllen. Im Ritual finden wir einen Bereich außerhalb der profanen Zeit.“

Martin Erler formuliert die Funktion so: „Rituale der frühen menschlichen Gesellschaften erfüllten eine wichtige Überlebensfunktion. Es gab ihnen das Gefühl der Besonderheit und der schicksalhaften Verbundenheit. Zweck des Rituals war die Teilnehmer aus ihren isolierten, individuellen Gefühlswelten herauszuheben und in etwas zu versenken, das umfassender ist, als sie selbst.“

Rituale sorgen für innere Balance. Es ist das Ausklinken aus dem Alltag, der Moment der Ruhe, in dem die Lasten des Alltags abgeschüttelt werden, wenn auch nur für Momente. In diesen Momenten herrschen Sicherheit und Geborgenheit, die der Kraftfindung dienen. Rituale stabilisieren und solidarisieren soziale Beziehungen.

Rituale schaffen Veränderungen im Menschen. In der Antike vertrat man die Auffassung, dass nur aus der Umwandlung des Menschen durch die Mysterien die Menschenfreundlichkeit, die Humanität, die Philanthropia, ja sogar die Kultur und die Zivilisation antstehen kann und entstanden ist.

Das Ritual vereinfacht die Bewältigung komplexer Situationen und elementarer Fragen zur menschlichen Existenz.

Rituale dienen der Abgrenzung zwischen Eingeweihten und Profanen (Unwissenden). Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Burckhard Dücker formuliert es so: „das Ritual ist ein Mittel zur „Binnenintegration“ und „Außenabgrenzung“.

Die Autorin Julia Roth nennt Rituale als „überlebenswichtig für ein wohltuendes Familienklima“. Nur mit­hilfe solcher Traditionen könne sich eine Familienidentität entwickeln. Das Ritual, schreibt Julia Roth, schaffe eine Atmosphäre der Besonderheit.

Rituale stellen aber auch die Form einer Kommunikation dar, in der die Akteure der Vergangenheit, der Zukunft sowie dem eigenen Selbst begegnen und sich als Teil des Kosmos wahrnehmen, quasi von einer Metabene aus. 

Karl Albert (1982, Seite 116/117) konkretisiert: „Die profane Zeitauffassung denkt in den Kategorien von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Nach ihr verliert sich die Gegenwart unaufhaltsam und unwiederbringlich ins Nicht-mehr-Sein der Vergangenheit wie sie auch ebenso unaufhaltbar aus dem Noch-nicht-Sein der Zukunft herantritt. Es gibt aber demnach hinter dieser vergänglichen Zeit ein unvergängliches Jetzt, eine ewige Gegenwart. 

Die sakrale Zeit im Ritual unterschiedet sich von der profanen durch Zeitlosigkeit.

Jürgen Kober (1988) beschäftigt sich in seinem Vortrag „Die geöffnete Loge“ mit den Besonderheiten der Zeit innerhalb der rituellen Arbeit der Freimaurer. Er kommt bezüglich der besonderen Qualitäten der Zeit in der geöffneten Loge zu einer ähnlichen Auffassung: „Die Öffnung der Loge dauert von Hochmittag bis Hochmitternacht. Diese Bezeichnungen kommen in unserem nach der Uhr ablaufenden 24-Stunden-Tag nicht vor. Sie symbolisieren das Heraustreten aus der historischen Zeit in einen zeitlosen Zustand. Wir treten ein in jene Dimension, in der das Wirklichkeit wird, was nie geschieht und immer ist. Diese Dimension wird von jeder Gemeinschaft bei jeder Feier, bei jedem Fest aufgesucht, wenn sie sich auf sich selbst, ihren Charakter und ihre Aufgaben besinnen möchte.“

Kirche, Sekten, Geheimbünde haben sich die Macht von Ritualen schon seit Jahrtausenden zunutze gemacht, teils zum Guten, teils als Mittel zur Machtausübung. 

Ob das Trommeln am Lagerfeuer, das Singen der Nationalhymne, die feierlichen Begebenheiten zu Weihnachten oder ähnliche Anlässe, sie alle demonstrieren die Gemeinsamkeit.

Es gibt aber auch Rituale der Unterwerfung, sei es in der Tierwelt, wo z.B. der Unterlegene dem Stärkeren die Kehle darbietet oder der Kniefall vor einem Regenten. Oder der Kniefall aus Demut und Mitgefühl.

Das Interessante an Ritualen ist, sie wirken auch bei denen, die nicht an deren Inhalte glauben, denn die Wirkung entsteht durch die Darbietung, durch den Aufbau.

 

Merkmale eines Rituals

Es gibt folgende Merkmale, die Rituale kennzeichnen, wobei nicht jedes Ritual alle diese Merkmale aufweisen muss.

  1. ein festes, unverän­derliches Ablaufschema
  2. eine gewisse Feierlichkeit mit ästhetischer Dimension
  3. das Ritual wird regelmäßig wiederholt
  4. der Kreis der Teilnehmer ist genau definiert 
  5. es herrscht eine „dramatische Struktur“ 
  6. Einbeziehung des nichtrituellen Bereichs in das Geschehen (Schweigen, Insichkehrung u.a.)
  7. Die Grenzen des Rituellen sind fließend
  8. ein Ritual arbeitet mit Symbolen
  9. Rituale sind in drei Äste gegliedert und mit einem aufsteigenden und absteigenden Ductus angelegt.
  10. Ritualhandlungen beginnen mit einem Zeichen (z.B. einen Glockenschlag, Zeremonienmeister schlägt mit seinem Stock auf den Boden) und signalisieren so den Wechsel zwischen Alltagswelt und Ritualwelt. 

 

Mit dem Löschen der Kerzen und dem Einrollen des Teppichs endet die Arbeit. Dieser Schluß entspricht symbolisch dem Ende der Welt. Entsprechend heißt es im Ritual (Kettengebet) nach Feßler: „Die Welt ist vergangen.“

 

Der rituelle Duktus

A. Einführung

B. Aufsteigender Ritus

Stufe 1 : Sicherung und Reinigung

Stufe 2 : 1. Incantatio (das Licht erleuchte diesen Tempel, Darstellung des Vorhabens)

Stufe 3 : Hereinrufung des Lichtes (Entzünden der Lichter)

Stufe 4 : 2. Incantatio: GBAW, Eröffnung der Arbeit 

C. Hauptritus: Stufe 5= eigentliche Arbeit

D. Absteigender Ritus

Stufe 6 : Schließung der eigentlichen Arbeit; Bestimmung der Zeit

1. Danksagung als Spruch

Stufe 7: Entlassung des Lichtes (Löschen der Kerzen)

Stufe 8 : Darstellung der vollendeten Arbeit (Kettenbildung)

  2. Danksagung (Kettenspruch oder Lied)

Stufe 9 : Übertragung des Ereignisses auf die profane Ebene; Schließung der Loge

E. Entlassung der Brüder

 

Initiation

Im Erleben und Durchlaufen eines Initiationsritus wird der Neophyt und Proband auf eine Veränderung vorbereitet, auf seine Neuwerdung, die ihm neue Aufgaben und Pflichten abverlangt. Die Initiation setzt einen Reifungsprozess voraus, der sich unter anderem in der Katharsis äußert, sowohl wie in der Pubertät, in der Arbeit als Profaner, als Lehrling und später als Geselle. Aber auch der Meister macht Entwicklungsstufen durch, in denen er reift.

Häufig ist Initiation mit einer besonderen religiösen Erfahrung, einer Neuwerdung, verbunden. Sie kann individuell (etwa die Weihe zum Schamanen, Aufnahme in einen Geheimbund) oder kollektiv, in der Gruppe, vollzogen werden. Beispiel für eine Initiation ist die in vielen Kulturen und Religionen verbreitete Beschneidung des Mannes als Akt der Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen. 

In der christlichen Tradition gelten Taufe, Kommunion und Konfirmation im übertragenen Sinn als Initiation. Auch totalitäre Systeme lieben Initiationsrituale, mit denen sie die Probanden auch psychologisch zu binden suchen. Diesen Zweck verfolgte man im Dritten Reich oder in der ehemaligen DDR mit der „Jugendweihe“. Gesellschaftliche und gruppenspezifische Initiationen gibt es z. B. in der Bundeswehr, bei Motorradclubs, in Gangs, kriminellen Clans sowie in anderen Gruppen. Dort wird der Neuankömmling (meist unfreiwillig) „getauft“, um in die Gruppe aufgenommen zu werden.

 

Das Mysterienspiel

Tief verwurzelt mit den Ritualen ist die Symbolik. Symbole sind Teil der Jungschen Psychoanalyse und Tiefenpsychologie. Mircea Eliade sagt: „Die Tiefenpsychologie schafft Raum für die Wahrnehmung, dass mythische Bilder und Themen in der Seele des modernen Menschen fortleben.“ 

So ist die symbolische Wiedergeburt in der Erhebung des dritten Grades als Neubeginn zu verstehen, als innere Wandlung mit zwingend nachfolgender Vervollkommnung.

In allen Mysterien spielt die symbolische Wiedergeburt die zentrale Rolle. Dies ist ein kosmisches Prinzip, so wie die Sonne jeden Morgen erneut im Osten aufgeht. Der freimaurerische Tempel symbolisiert daher den Kosmos und fungiert als dessen Spiegelbild. Daher bewegt man sich im Tempel grundsätzlich „deosil“, also im Uhrzeigersinn.

Der Bruder Freimaurer strebt dem Licht der Erkenntnis zu. Die Binde ist von den Augen gefallen. Der Suchende sieht sich nicht allein, sondern in der Kette der Brüder.  Die Wandlung vom Profanen zum Freimaurer ist vollzogen.

Und derjenige, der dem Ritual beiwohnen darf, wird zum Eingeweihten.

Die freimaurerische Arbeit ist in ihrem tiefsten Grunde unverändert geblieben, nämlich in der Frage nach dem Sinn unseres Hierseins, in der Frage nach dem Weg und Ziel des Menschen. Die Freimaurer kennen diesen Weg als Weg zum maurerischen Licht.  Als Hilfsmittel dafür dient das Ritual. Das Ritual ist eine sakrale Handlung im transhumanen und numinosen Bereich.

Das Ritual ist immer durch die Beziehung zum Numinosen bestimmt. Diese Beziehung beginnt mit der Hinlenkung des Bewusstseins auf eine transzendente Macht, auf ein geistiges Prinzip, auf das Göttliche oder wie man es nennen mag.

Die Symbole sind die Grundlage der Freimaurerei und das wichtigste Ausdrucksmittel im Ritual. Symbole sind für den Freimaurer Werkzeuge zur praktischen Lebenshilfe und Brücke zum Irrationalen. Kein Mensch kann ohne Symbole leben. 

Erich Fromm meint: „Ich halte die Sprache der Symbole für die einzige Sprache, die jeder lernen sollte.”