Das Geheimnis des Baphomet

Der Baphomet war für die Templer der Schlüssel zu allem und damit Symbol für das Ergebnis eines formativen Prozesses: der vollendeten Initiierung. Nach Meinung der Kirche war seine Darstellung und Verehrung ein Sakrileg. Um seine eigentliche Bedeutung zu verschleiern, verwendeten die Templer stellvertretend den vorchristlichen Dreikopf in ihren Kirchen und Burgen. So blieb das eigentliche Geheimnis seiner Mehrfachsymbolik nur Eingeweihten zugänglich. Dieses Buch ist eine Studie über das freimaurerische Gedankengut des 18. Jahrhunderts und seine Verbindung zu den Templern anhand der Symbolik des Siegels der Loge „Zu den drey Waessern“ i. O. Passau aus dem Jahr 1776. Andreas Gruß erklärt erstmalig das geheime Wissen um die Schlüsselrolle Baphomets und des Dreikopfs und enthüllt diese als Bindeglied zwischen dem Gedankengut von Templern und Freimaurern.

 

Der Name ‚Baphomet’ taucht nach der Zerschlagung der Templer immer wieder als deren Geheimnis in den Prozessakten auf, und zwar als Gottbildnis, als vermeintlicher Götze, der von den Tempelrittern angebetet würde. Ein Sakrileg, denn nach Meinung der christlichen Kirche durfte niemand anderes als Idol verehrt werden als der Papst, Gott, Christus sowie von der Kirche als heilig gesprochene Personen. Jegliche Verehrung fremder Idole stellte eine Bedrohung der Kirchenlehre und damit ihrer Allmacht dar. Um dem entgegenzuwirken war den Glaubenshütern nahezu jedes Mittel recht, derartige Strömungen zu unterbinden. Unter grausamen Folter¬methoden erpressten die Inquisitoren Aussagen, die sie als Geständnisse verbuchten, wohl wissend, dass man unter Folter alles gesteht, nur damit man keine Schmerzen mehr erleiden müsse. So auch in der Causa Baphomet.
Wer und was ist der Baphomet?
Nach den Templern begegnet einem der Baphomet später bei den Freimaurern und den Satanisten. Letzteren dient eine Vorlage, die nach Eliphas Levi, alias Alphonse Louis Constant (1810–1875) einen Ziegen¬bock darstellt und satanische Züge trägt (Abb. 16/1). Damit rückt die Bedeutung des Baphomet in ein dämonisches Zwielicht mit stark negativem Anstrich. Seine wahre Symbolik geht dadurch verloren; denn diese ist eine andere als die Darstellung von Levi auf dem ersten Blick vermuten lässt.
Auf die Symbolik des geflügelten Ziegenbocks, der meiner Meinung nach nichts mit der Baphometdarstellung der Templer zu tun hat, will ich nicht eingehen, sondern auf die wahrscheinliche und ursprüngliche Herkunft und Bedeutung. Diese führt uns über die Templer zurück zu prähistorischen Kulturen.
Erwähnen möchte ich aber noch, dass in Dantes „Göttlicher Komödie“ der Satan als dreigesichtig beschrieben wird, was sicherlich aus dem Kontext der Templerverfolgung zu verstehen ist, denn Dante Alighieri (1265– 1321) verfasste seine „Göttliche Komödie“ zwischen 1307 und 1320.
In den Gerichtsverfahren gegen die Templer aus dem Jahre 1307 und später sprechen diverse aktenkundige Originalaussagen von einem schwarzen und hässlichen Haupt in Form eines menschlichen Kopfes, einem vergoldeten Haupt, von einer Statue aus Messing, einem Haupt mit drei Gesichtern [83] oder von einem Idol mit vier Füßen, in deren Zusammenhang der Name Baphomet jedoch nur einige Male verbrieft ist. Sehr wohl aber bedienten sich die Templer in Kypros des Baphomet, was sich Aussagen bei Nicolai [85] (135/S. 91) entnehmen lässt. Dort wird die Gestalt des Baphomet einerseits als Zerrbild vorgestellt, bald als eine menschliche Figur, das Gesicht weiß, mit großem Bart, vergoldet und versilbert, Karfunkel in den leuchtenden Augen, aber auch als  zweistirnig oder zweiköpfig (135/177).
Der Vorwurf gegen die Templer lautete – neben anderen  – sie würden einen Götzen anbeten, von dem magische Kräfte ausgingen, die Reichtümer schaffen, die Saat keimen und Bäume blühen lasse. Ein Großteil der Templer machte allerdings überhaupt keine Angaben zu diesem Vorwurf oder erklärte, man hätte erst nach der Verhaftung von derartigen Idolen gehört. Dies erscheint durchaus glaubhaft, denn sicherlich hat nicht jeder Templer von der Bedeutung des Baphomet gewusst, sondern nur höhere eingeweihte Grade [84].
Herkunft des Namen Baphomet oder Bafomet
Bereits die Sarazenen verehrten einen Baphomet, so behauptet es zumindest der Kreuzfahrer Anselm de Ribaumont in seinem Brief, den er 1098 aus Antiochia schrieb.
Raimond d’Aigulhers nannte in seiner Historia Francorum, die 1096 bis 1100 geführt wurde, die Moscheen bafumaris.
In der Dichtung Simon de Puille, die vor 1235 entstand, heißt einer der sarazenischen Götzen Bafumetz.
Der Name könnte auch vom Arabischen abufihamat (Quell der Erkenntnis) oder von der sufischen Terminologie abgeleitet worden sein, denn dort bedeutet ras-el-fahmat (163/225) ‚Haupt der Erkenntnis’ oder ‚Kopf der Weisheit’ [86], womit die geistige Tätigkeit des Menschen nach seiner Vollendung als verwandeltes Bewusstsein, als ‚Goldener’ Kopf  bezeichnet wird. Der Goldene Kopf ist ein sufisches Sinnbild für eine Person, deren inneres Bewusstsein sich in ‚Gold’ umwandelte. Wenn man beachtet, dass der Schild von Hugues de Payen, dem Gründer der Templer im Jahr 1118 nC, von drei schwarzen menschlichen Köpfen – den Köpfen der Erkenntnis und des Wissens – geziert wurde, dann kann hier eigentlich nur ein Bezug zur symbolischen „Goldgewinnung“ der Alchemisten hergestellt werden, wo aus Unedlem, das Edle und aus dem Dunklen Licht wird (aus dem Dunklen seid Ihr gekommen).
Somit wäre der Baphomet nicht ein angebetetes Götzenbild, sondern das Symbol für das Ergebnis eines formativen Prozesses, den vollendet Initiierten. Dies entspricht zumindest den Bedeutungen der vielen Dreiköpfe aus den einzelnen Frühkulturen.
In der „Vida de Sant Honorat“ [87] finden sich interessante Darstellungen antiislamischer Polemik. Hier heißen die von den Nichtchristen verehrten Götter Bafum e Travagan. Für Féraud sind Islam, Heidentum und Häresie eines, was sich in einem Satz besonders äußert: Non cresa Bafumet ni la sia heregia (glaube nicht an Bafumet und seine Häresie).
Da im Kontext Bezug auf Bafumet de Mecha genommen wird, könnte hier Mohammed gemeint sein, so vermuten einige Autoren, womit Baphomet dann nichts weiter als der okzitanische Name für den Propheten Mohammed sei, wie Johann Gottfried von Herder versucht den Namen zu erklären (24/50). Buhle widerspricht dieser Ansicht vehement (21/407), was leicht nachvollziehbar erscheint, denn bedenkt man das Ursprungsdatum des oben genannten Werkes, das sich auf das späte 13. Jahrhundert datieren lässt, dann war zu diesem Zeitpunkt der Begriff ‚Baphomet’ längst geläufig. Eine Übereinstimmung des Templeridols mit Mohammed wäre natürlich der christlichen Kirche sehr gelegen gekommen und vielleicht wurde diese Verbindung absichtlich konstruiert, um das Feindbild Mohammed auf die Templer zu übertragen und diese damit zu verunglimpfen und ihre Verfolgung zu rechtfertigen. Es wäre nicht die erste und schon gar nicht die letzte Intrige im gnadenlosen Kampf um  Macht. Es muss als Fakt angesehen werden, dass die christliche Kirche den Baphomet als heidnisches Idol verdammte und in einem Aufwasch heidnische Götter wie Apollon, Jupiter, und Ischtar mit dazu.
Eine Übereinstimmung zwischen den templerischen ‚Götzen’ und Mohammed scheint auch deshalb als sehr unwahrscheinlich, weil eine bilderfeindliche Religion wie der Islam keinen Götzen anbetet. Vielmehr werden von fanatischen Moslems wie auch bereits zuvor von den Zoroastern sämtliche Skulpturen und Bildnisse und damit Hinweise auf die Existenz einer dreiköpfigen Gottheit vernichtet worden sein, sofern sie dort je vorhanden waren. (93/82) Der Baphomet stellte also sicherlich nicht Mohammed als Person dar, wenn auch Übereinstimmungen zu altislamischen Anschauungen vorhanden sind. Nicht zu leugnen ist die Bedeutung der Zahl „Drei“ bei den Nusairiern, bzw. Alawiten, der eine tragende Rolle zukommt, indem sie ihr drei Heilige zuordneten, nämlich Ali ibn Abi Talib, als Erscheinung des höchsten, namenlosen Gottes, des Urewigen, daneben Muhammad und seinen Gefährten Salman al-Farisi.
Andere Deutungsversuche, wie die von Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall, der im Baphomet eine Kombination aus dem griechischen bafo (etwa Tinktur) und meti, bzw. mete (des Geistes) sah, also im übertragenen Sinne eine Geistestaufe (Nicolai nennt es wie oben erwähnt  ‚Taufe der Weisheit’), halte ich ebenfalls für fragwürdig. Auch wenn hier der Nebenaspekt des Begriffes „mete“ dem Baphomet einen mannweiblichen Charakter unterstellt (61/181) und damit seinem eigentlichen Sinn schon recht nahe kommt.
Ebenso eine Ableitung aus dem Buch „Libre de la doctrina pueril“ [88] von Ramon Lull halte ich für unwahrscheinlich. Ramon Llull lebte von 1232 bis 1315, und da existierte der Begriff sicherlich längst. Wahrscheinlich scheint mir eher, dass Ramon Llull den Begriff von den Templern übernommen hatte, mit denen er zuerst gute Kontakte pflegte. Vielleicht gerade wegen des falsch verstandenen Baphomet oder weil er die darin enthaltene Gefahr für die christliche Kirche erkannte, wurde er Mitinitiator bei der Zerschlagung des Templer¬ordens.
Ergänzend möchte ich noch auf den britischen Bibelforscher Hugh Joseph Schonfield (1901-1988) hinweisen, der nach der altjüdischen Verschlüsselungsmethode, dem „Atbash Chiffre“, aus dem Wort Baphomet den Begriff ‚Sophia’ dechiffrierte.
Nicht zuletzt sei eine andere Herkunftsthese erwähnt, die auf die Göttin von Paphos zurückgeht, deren Statue von Tauchern im Jahr 1955 gefunden wurde und wahrscheinlich aus dem 1. Jahrhundert vC stammt (103). Diese Göttin soll der Aphrodite entsprechen, zu der es eine Parallele gibt. Laut einem Mythos verdankt Aphrodite ihre Geburt  einem Götterkampf, bei dem Uranos entmannt und sein Glied ins Meer geworfen wurde, wodurch eine weiße Gischt entstand, der Aphrodite als Göttin der Schönheit, Fruchtbarkeit und Liebe entstieg. Auch der Phallus des Osiris wurde ins Meer geworfen und von Fischen verschlungen. Der Schöpferkraft beraubt kann sich die Sippe nicht weiter fortpflanzen und stirbt aus, die Vorgängerverhältnisse werden durch eine neue Ordnung ersetzt. Dem stimme ich einerseits zu, sehe  darin allerdings mehr eine symbolhafte Überwindung körperlicher Abhängigkeiten. Erst wer sie meistert, kann zu neuer wahrer Schönheit erstehen. Und steht nicht der Fisch als geheimnisvolles Symbol des Lebens, der im Wasser lebt und dessen numinosen Aspekt verdeutlicht? Erinnert dies nicht an die Worte von Jesus, die ich bereits im Kapitel „der, die, das Sphinx“ erwähnt habe, wo der Löwe zum Menschen wird, indem dieser den tierischen Anteil des Löwen frisst? Oder an das Perlenlied aus den Thomasakten?
Ich sehe in der Namensgebung eher den Sinn, die eigentliche Bedeutung des templerischen Baphomet zu verschleiern, indem man bewusst falsche Fährten gelegt hatte, was ja auch sehr gut gelang. So blieb das eigentliche Geheimnis seiner hintergründigen Mehrfachsymbolik nur Eingeweihten zugänglich.